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Ästhetik und UX-Design

Inwieweit spielt die Optik eines User Interface eine Rolle?

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Was haben Ästhetik und UX-Design miteinander zu tun?

Funktionalität und Inhalt spielen bei der Entwicklung eines Produkts, einer Website oder eine Anwendung eine wichtige Rolle. Manche würden sogar behaupten, die einzig entscheidende Rolle. Doch ist das wirklich so? Hat die Optik eines Produkts wirklich keinen Einfluss auf das Nutzererlebnis und wenn doch, welche Faktoren sind in diesem Zusammenhang von Bedeutung? Inwieweit hängen Ästhetik und UX-Design miteinander zusammen? Dieser Fragestellung und vielen weiteren gehe ich in diesem Artikel näher auf den Grund.

 

Was bedeutet Ästhetik eigentlich?

Über die Schönheit der Dinge philosophieren die Menschen seit jeher. Bewusst, sprich im Rahmen einer eigenen Disziplin, tun sie es jedoch erst seit dem 18. Jahrhundert. 1735 begründete der Philosoph Alexander Gottlieb Baumgarten die Ästhetik hierzulande als eigenständige philosophische Disziplin, als „Wissenschaft der sinnlichen Erkenntnis“.  In dieser wird sich mit sämtlichen Wahrnehmungen und sinnlichen Anschauungen beschäftigt, nicht nur mit dem vermeintlich Schönen. Auch hässliche, unangenehme oder langweilige Wahrnehmungen sind Gegenstand der ursprünglichen Ästhetik. Im Volksmund wird das Wort „ästhetisch“ jedoch vermehrt als Synonym für schön, geschmackvoll oder optisch ansprechend gebraucht.

 

Was haben Ästhetik und UX miteinander zu tun?

Vorteile von einem ästhetisch ansprechenden Design

Ästhetik und die User Experience sind unweigerlich miteinander verbunden. Dies ist nicht zuletzt auf den sogenannten ästhetischen Usability-Effekt zurückzuführen. Dieser wurde erstmalig 1995 entdeckt und besagt, dass User ein ästhetisch attraktives Produkt als nutzbarer empfinden als ein langweiliges oder hässliches, selbst wenn es in Wirklichkeit nicht so ist. In unserem Unterbewusstsein ist also scheinbar der Glaubenssatz verankert: „Schöne Produkte funktionieren besser.“


Die Nielsen Norman Group stellt sogar die These auf, dass User, sobald sie zum visuellen Design eine positive emotionale Verbindung aufbauen, toleranter gegenüber einzelnen Usability-Problemen sind. Auch der sogenannte Joy of Use, das Ziel der User Experience, entsteht aus dem Zusammenspiel zwischen Inhalt, Funktion und Design. Das zeigt eindeutig: eine positive User Experience besteht nicht nur aus einem funktionierenden, sondern auch aus einem optisch ansprechenden User Interface.


Allerding hat der ästhetische Usability-Effekt seine Grenzen wie Kate Moran aus der NNGroup in einem Artikel schreibt. Ein hübsches Design erhöht die Toleranz des Users gegenüber kleinen Usability-Problemen, nicht aber gegenüber großen Störungen. Während ein ästhetisch positives Design den Erst- sowie Gesamteindruck verbessert und als Verstärker fungiert, binden Inhalte und Funktionen die Menschen. Design, Inhalt und Funktion sollten dementsprechend zusammenarbeiten, um das perfekte Nutzererlebnis zu kreieren.

 

Wann wird eine Software oder Website als ästhetisch angenehm empfunden?

Wann genau eine Software oder Website als ästhetisch positiv empfunden wird, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. In der Regel ist das abhängig von der jeweiligen Branche, der Zielgruppe und deren kulturellen Hintergründen. Umso wichtiger ist es daher, ausführlich über seine User Bescheid zu wissen und so viel wie möglich über seine Zielgruppe in Erfahrung zu bringen. Darüber hinaus befindet sich Web- und Softwaredesign ständig im Wandel, was die Festlegung gewisser Designrichtlinien zusätzlich erschwert.


Allerdings gibt es ausgewählte Standards, die zu brechen ein gewisses Risiko bedeutet. Denn wir erinnern uns: User mögen keine Veränderungen. Zum Beispiel befindet sich das Logo in der Regel in der linken oberen Ecke und auch die Navigation hat ihren festen Platz. Diesen prototypischen Aufbau nicht einzuhalten, kann unter Umständen Einbußen in der User Experience und im ästhetischen Gesamteindruck bedeuten und sollte daher gut überlegt sein. Wenn man allerdings einen innovativen und neuartigen Eindruck hinterlassen möchte, ist es das Risiko unter Umständen wert. Man muss von Situation zu Situation abwägen und die Entscheidung entsprechend den Bedürfnissen seiner Zielgruppe treffen.

 


Kann man Ästhetik von Websites oder Software messbar machen?

Die Ästhetik von Webseiten oder Software messbar zu machen, ist nicht so einfach. Zahlen zur Verweildauer oder Absprungrate sagen vielmehr über den Inhalt und die Usability aus und nichts Konkretes über die Gestaltung. Dennoch gibt es Forscher, die sich diesem Thema gewidmet und diverse Theorien zur Messbarkeit von Ästhetik auf Webseiten beziehungsweise Software aufgestellt haben.


Einer davon ist der Psychologe PD Dr. Meinald T. Thielsch, welcher eine Art Messinventar für visuelle Ästhetik von Webseiten aufgestellt hat (Visual Aesthetics of Websites Inventory, kurz VisAWI). Dieses Messinventar beinhaltet mehrere Dimensionen:

  • Einfachheit
  • Vielseitigkeit
  • Farbigkeit
  • Kunstfertigkeit

Mit Hilfe dieser Dimensionen wird die visuelle Ästhetik einer Website ein Stück greifbarer. Auch der Ansatz der Wissenschaftler Lavie und Tractinsky aus dem Jahr 2004 bringt uns dem ästhetischen Web- und Softwaredesign ein kleines Stück näher. Laut den Untersuchungen der Forscher unterscheidet man zwischen einer klassischen und einer expressiven Ästhetik. Letztere bewertet die Kreativität und Originalität des Designs, während die klassische Ästhetik sich auf die Ordnung und Regelmäßigkeit bezieht.

 

Mögliche Elemente eines ästhetischen Webdesigns

Wie bereits geschrieben, gibt es kaum Richtlinien, die Designern dabei helfen, ein ästhetisch ansprechendes User Interface zu kreieren. Sicherlich gibt es mehrere Artikel im Internet, die darüber berichten, was ein „gutes“ Webdesign ausmacht. Aber ist es deshalb auch automatisch ästhetisch? Nach zahlreichen Artikeln bin ich endlich auf einen Beitrag im  usabilityblog.de gestoßen, welcher sich traut, ein paar mögliche Elemente für ein ästhetisch ansprechendes Webdesign aufzuführen. Dazu zählen:

Farbe

Die Farbgestaltung spielt natürlich eine wichtige Rolle bezüglich der Webästhetik. Je nach Zielgruppe gibt es unterschiedliche Farbtöne, die als ästhetisch ansprechend empfunden werden. Allerdings kann man sich an der psychologischen Wirkung der Farben orientieren, nach denen beispielsweise Blau oder grün als besonders ästhetisch angenehm empfunden werden.

 

Design-Balance

Für einen ästhetisch positiven Gesamteindruck sollte eine visuelle Ausgewogenheit auf der Website vorherrschen. Das heißt eine Hälfte sollte nicht durch zu viele oder zu große Elemente kippen und damit das Gleichgewicht zerstören.


Symmetrie

Ähnlich wie die Balance verschafft auch die Symmetrie einen angenehm ästhetischen Eindruck. Symmetrisch angeordnete Elemente schaffen Struktur und Ordnung. Darüber hinaus wirkt das Design dadurch harmonischer.

Visuelle Komplexität

Überladene Websites mit zu vielen Farben, Formen oder Typografien wirken eher chaotisch. Zu viel Komplexität kann sich demnach negativ auf die ästhetische Wahrnehmung der Seite auswirken und sollte stets bei der Websitegestaltung berücksichtigt werden.


Meine Erfahrungen

Die Ästhetik habe ich bei der Gestaltung einer Webseite bisher intuitiv berücksichtigt und weniger bewusst. Vor allem die Design-Balance habe ich, rückblickend betrachtet, besonders im Auge behalten. Alles jedoch unbewusst und nach Bauchgefühl versteht sich. Da es nur vage Richtlinien für die Websiteästhetik gibt, werde ich wohl auch in Zukunft eher nach Bauchgefühl handeln, die obigen Elemente jedoch im Hinterkopf behalten. Allerdings finde ich es gut zu wissen, dass ein ästhetisch angenehmes Design belohnt wird, indem User kleine Usability-Probleme verzeihen.

 

Fazit

Die Ästhetik spielt im UX-Design ebenso eine wichtige Rolle wie die Inhalte und Funktionen. Eine ansprechende Ästhetik kann unter anderem kleine Usability-Schwachstellen verzeihen und den Gesamteindruck einer Website beziehungsweise Software verbessern. Darüber hinaus verstärkt eine positive Ästhetik die User Experience. Im Zusammenspiel mit den richtigen Inhalten und Funktionen wird dann eine qualitative Anwendung geschaffen, welche die User gerne weiterempfehlen sowie wiederbenutzen wollen.

 

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